Adolf Hitler - ein Teil von Deutschland, ob man will oder nicht. Nicht unbedingt der beste, aber der "Führer" selbst dürfte da vom Gegenteil überzeugt sein. Was passiert, wenn man ihn auf eine Zeitreise schickt und in der Gegenwart da weitermachen lässt, wo er 1945 aufgehört hat, erforschte der Autor Timur Vermes bereits 2012 in seinem Roman "Er ist wieder da". Der Erfolg und wohl auch die politische Lage im Land ermöglichten eine Verfilmung. Eine, die an den meisten Zuschauern nicht spurlos vorübergehn dürfte.

Wir schreiben das Jahr 2014. Der letzte Krieg ist lange her, besonders jener, an den sich Hitler (Oliver Masucci) noch lebhaft erinnern kann. Er erwacht im modernen Berlin und wird aufgrund seiner authentischen Äußerungen und Äußerlichkeiten zunächst für einen talentierten Comedian gehalten. Nachdem begeisterte Touristen reichlich Selfies mit ihm gemacht haben, entdeckt ihn der Journalist und Möchtegern-Filmemacher Fabian Sawatzki (Fabian Busch) und will ihn beim Fernsehsender myTV ganz groß rausbringen. Und natürlich sein Stück vom Kuchen abhaben. Die Aufsichtsräte und Intendanten verfolgen aber ihre ganz eigenen Pläne. Und der "Führer", trotz aller scheinbaren Lächerlichkeit, ebenso.

Ein Film der vieles ist. Und bei weitem nicht immer das, wofür man ihn hält. Aber am Ende irgendwie doch. Der dokumentarische Beginn, bei dem sich Hitler von einem Benimmcoach Tipps für stilvolles Händeschütteln geben lässt, sein darauf folgendes Erwachen mitten in Berlin und der selbstverordnete Geschichts-Nachhilfeunterricht im Zeitungskiosk schüren Erwatungen in Richtung einer ganz netten sozialkritischen Experimentalkomödie. Aber David Wnendts filmische Adaption des Bestsellers ist mehr als das. In erster Linie wird mit erschreckendem Realismus gezeigt, wie verführbar Menschen auch im einundzwanzigsten Jahrhundert sein können und, dass ein charismatischer Redner, der sich in Zeiten der Unzufriedenheit als ultimativer Problemlöser ausgibt, schneller beliebt sein kann, als man meint.

über den Dächern von Berlin
(Bildquelle: Constantin Film)
Gleichzeitig wird auch einer fernsehverdummten Zuschauerschaft der Spiegel vorgehalten, wo Tierquäler Unmenschen sind, die aber, sobald sie sich von Neonazis verhauen lassen oder schnell an Tierschutzvereine spenden, augenblicklich rehabilitiert und als "Helden der Demokratie" gefeiert werden. Auch eine auf Kosten des guten Geschmacks Profit machende Medienszene wird schamlos und stellenweise äußerst schmerzhaft parodiert. Selbst Youtube-"Stars" reagieren auf ihre Weise mit Hitler-MakeUp-Tutorials und supernachdenklichen philosphischen Beiträgen auf das Geschehen, der Rest der sozialen Netzwerke und Medienwelt sowieso. Die erschreckende Erkenntnis: Hitler hat das Zeug, hipp und angesagt zu sein, obwohl sich sein "Programm" in den letzten siebzig Jahren nicht verändert hat. Er nimmt die Leute bei der Hand, gibt eine Richtung vor, schafft klare Verhältnisse wo sich mancher verunsichert fühlt und Führung erwartet. Obwohl der großartig aufspielende Oliver Masucci den sattsam bekannten Sprachduktus und Uniformlook kaum variiert, wird dennoch viel von der Verführungskraft Hitlers deutlich. Daneben verblassen selbst gleichfalls gut aufgelegte Darsteller wie Katja Riemann oder Christoph Maria Herbst (mit einer genialen Hommage an "Der Untergang"), der auch das Hörbuch zum Roman einsprechen durfte.

der Führer entdeckt das "Internetz"
(Bildquelle: Constantin Film)
Einige der als dokumentarisch präsentierten Szenen sind freilich zu perfekt, um hundertprozentig authentisch sein zu können. Tatsächlich wurden Szenen wie die in der NPD-Parteizentrale (geführt von einem gewissen Ulf Birne) täuschend echt mit Schauspielern in Szene gesetzt, während andere Figuren des rechten Spektrums offenbar tatsächlich existieren. Manche auf der Straße oder an Stammtischen aufgezeichneten Kommentare hat man aber womöglich so oder so ähnlich schon mal gehört (oder würde sie denjenigen zumindest auf den ersten Blick zutrauen). Sollte diese vielschichtige und uneindeutige Vermischung von Realität und Fiktion in dieser Form Absicht sein, wäre der Film ein großartiger Beweis dafür, dass er selbst es schafft, die Zuschauer nach Belieben zu manipulieren und, dass man höllisch aufpassen musst, wann und worüber man lacht. Überhaupt enthält die Erzählung so viele Ebenen und auch als "Film im Film" erzählte Elemente, dass genaues Aufpassen zwingend erforderlich ist. Und dann will der Film ja auch noch unterhalten. Keine Angst, das tut er auch, nur fragt man sich oft ob jetzt Lachen oder Kopfschütteln angebracht ist.

Auch wenn David Wnendt Dummheit und Ewiggestrigsein anders als sein Kollege Dietrich Brüggemann in der gleichfalls gelungenen Satire "Heil" allein auf das rechte Spektrum beschränkt und andere Ideologien leider grundsätzlich ausklammert, bleibt ein wichtiger Film zurück. Einer, der stellenweise wehtut und jeden Zuschauer herausfordert. Denn trotz aller Aufarbeitungsmaßnahmen ist das Thema noch lange nicht durch, sondern heute womöglich aktueller denn je. Insgesamt eine hochbrisante aber notwendige Gratwanderung zwischen Satire, Komödie, Drama und Mockumentary.

Darsteller: Oliver Masucci, Fabian Busch, Katja Riemann, Christoph Maria Herbst, Michael Kessler, Franziska Wulf, Lars Rudolph, Dagi Bee u.v.m.
Regie: David Wnendt
Jahr: 2015 (DVD/BD: 2016)
Label: Constantin Film
Laufzeit: 110 min + Bonus
FSK: ab 12 Jahren
Bonusmaterial (DVD): entfernte Szenen, Probedrehs, MakingOf, Trailer, Audiokommentar



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